Martel schenkt ein

Wie wähle ich den passenden Wein aus und wie degustiere ich richtig?

Jolanda Riedener | 03.09.2021 | Lesezeit 9 Min. Wie wähle ich den passenden Wein aus und wie degustiere ich richtig?

Der St.Galler Weinhändler Jan Martel erklärt, worauf Sie achten müssen.

«Bei Wein haben viele das Gefühl, dass man sich auskennen muss»: Ein Weinprofi bringt auf den Punkt, was Sie über Wein wirklich wissen müssen.

«Tannin», «Terroir», «trocken»: Wenn Fachleute über Wein sprechen, wirkt das oft steif und exklusiv. «Die typischen Fachbegriffe kann man getrost den Weinfachleuten überlassen», sagt der St.Galler Weinhändler Jan Martel. Denn bei den Konsumentinnen oder den Konsumenten sollte der Spass im Vordergrund stehen. Wer Wein liebt, aber oft etwas hilflos vor dem Weinregal steht, dem vermittelt Martel das Basiswissen verständlich und lässt das angestaubte Image des Weins hinter sich.

Wie wähle ich einen Wein aus?

Ob im Restaurant, für ein feines Essen daheim oder als Geschenk: Die Auswahl an Wein ist riesig. In den Regalen der Grossverteiler reiht sich Flasche um Flasche. «Das kann in der Tat eine grosse Herausforderung sein», bekräftigt Jan Martel und hat eine einfache Lösung für dieses Problem parat: ein Fachgeschäft besuchen. «Qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter empfehlen Weine, die auf Ihren Geschmack zugeschnitten sind.»

Online-Einkäufe sind eine gute Alternative, wenn die Zeit fürs Fachgeschäft fehlt. Viele Anbieter stellen ihre Produkte mit guten Kurzbeschreibungen vor oder bieten, wie Martel auch, Online-Videoberatungen an. Steht man unerwartet vor einem Weingestell im Grossverteiler und möchte spontan einen Wein kaufen, gehe das natürlich auch. Dann rät der Weinhändler, sich an den Kurzbeschreibungen auf den Rücketiketten der Flaschen oder am Weinregal zu orientieren. «Im Notfall hilft auch Google. Vielleicht zahlt man etwas Lehrgeld. Spannend ist es aber allemal», sagt Martel.

Ich habe aber keine Ahnung, welchen Typ Wein ich mag

Jan Martel empfiehlt, möglichst viele verschiedene Weine zu probieren. Ausserdem Einzelflaschen zu kaufen und Weindegustationen zu besuchen. Weinabos, bei denen Sie regelmässig mit verschiedenen Weinen beliefert werden, eigenen sich ebenfalls gut, um herauszufinden, welche Sorte man mag. Im Restaurant kann man zusätzlich unter Druck geraten: Neben der Wahl des Weines, der zum Gericht passen soll, muss man auch noch den Namen richtig aussprechen. Martels Tipp: «Gehen Sie das entspannt an und lassen Sie sich vom Personal beraten.»

Generell hätten bei Wein viele das Gefühl, dass man sich auskennen muss. Das sei aber gar nicht nötig. «Gehen Sie auf eine Entdeckungsreise und geniessen Sie.»

Wie öffne ich die Weinflasche richtig?

Jan Martel empfiehlt dazu einen simplen Flaschenöffner. Mit dem Messer zuerst die Kapsel unter der Wulst gerade abschneiden und entfernen. Dann die Spirale mittig ansetzen und ganz in den Korken eindrehen.

Nun können Sie den Korken in zwei Schritten sanft herausziehen. Dabei ist wichtig: Das letzte Stück sollten Sie vorsichtig herausdrehen, um ein Ploppen zu vermeiden. Damit kann man einen ruckartigen Druckausgleich in der Flasche verhindern, der im schlimmsten Fall das Aroma des Weins negativ beeinflussen kann.

Worauf muss ich beim Einschenken achten?

Entweder kann man ins stehende Glas einschenken oder man nimmt das Glas in die Hand und hält es dabei etwas schräg. Beim Einschenken sollten Sie behutsam vorgehen: den Wein vorsichtig und langsam ins Glas eingiessen, nicht wie Mineralwasser. Idealerweise füllt man das Glas maximal zu einem Drittel. Bei grossen Gläsern beschränkt man sich auf einen Viertel. «So bleibt genügend Platz im Glas für die Aromastoffe», sagt der Experte. Eine Hilfe beim Einschenken ist der «Drop Stop» – das runde Plättchen setzt man gerollt in die Öffnung und der Wein fliesst ruhiger und regelmässiger ins Glas.

Wie probiere ich Wein?

Einen Wein verkostet man in drei Schritten: Zuerst mit dem Auge, danach riecht man mit der Nase und zuletzt beurteilt man den Geschmack mit dem Mund.

Schritt 1

Jan Martel zeigt es vor: Das Weinglas hält er am Stiel und hält es schräg über einen weissen Hintergrund. Legen Sie zum Beispiel eine Serviette auf den Tisch oder nehmen Sie ein weisses Blatt Papier. Die Farbe und Klarheit erkennt man so am besten. Älterer Rotwein verliert mit den Jahren eher seine Farbintensität.

Schritt 2

Danach das Glas schwenken, um die Aromen herauszuholen, und am Glas riechen: So prüfen Sie den Duft des Weins. Am besten das Glas schräg halten und zwei-, dreimal nacheinander daran «schnüffeln» anstatt einmal tief Luft holen. Tipp: Vergleichen Sie den Duft jeweils mit, und ohne das Glas vorher zu schwenken.

Schritt 3

Zu guter Letzt einen kleinen Schluck nehmen, dabei darf auch ein Geräusch entstehen. Denn wenn Luft dazukommt, schmeckt man die Aromen besser. «Natürlich macht Übung den Meister. Aber meistens stellt man unangenehme Fehlgerüche wie Zapfen – hat man ihn schon einmal gerochen – schnell fest», sagt Jan Martel.

Wie verhalte ich mich im Restaurant?

Probieren Sie den Wein wie im vorherigen Punkt beschrieben. «Das können Sie ganz diskret machen, man muss dabei keine Show abziehen», sagt Jan Martel. Prüfen Sie, ob Sie einen Weinfehler, Korkgeschmack oder Oxidation (siehe Weinbegriffe am Schluss) feststellen. Merken Sie nach der Degustation, dass der Wein nicht ihren Geschmack trifft, ist das leider Pech. Zurückgeben sollte man nur Weine, die nicht in Ordnung sind. Falls Sie die Bedienung fragt, ob Sie am Zapfen riechen möchten, können Sie das auch ablehnen. Der Zapfen könne einen ersten Eindruck geben, manchmal täusche dieser Eindruck aber auch, weshalb es sich lohne, den Wein zu probieren.

Ausserdem: Halten Sie das Glas immer am Stiel. So bleibt das Glas sauber und der Wein erwärmt sich nicht durch die Körpertemperatur der Hand.

Was sagt mir das Etikett?

Je nach Land gelten unterschiedliche Bestimmungen dazu, was auf dem Weinetikett angegeben sein muss. Überall gilt es, den Alkoholgehalt, die Mengenangabe und den Jahrgang, falls vorhanden, anzugeben. Auch die Herkunftsbezeichnung sowie der Abfüller oder Produzent gehören zwingend aufs Label.

Der Aufbau ist nicht überall gleich: International unterscheidet man zwischen romanischem und germanischem Weinrecht. Bei Ersterem steht das Land, bei Zweiterem die Sorte im Vordergrund – so auch bei uns in der Ostschweiz.

Wie entscheidend ist der Jahrgang?

Wein ist ein Naturprodukt. Jeder Jahrgang erzählt eine eigene Geschichte und zeigt andere Charaktereigenschaften. Auf der Website von Martel gibt es eine interaktive Jahrgangstabelle: Die Kombination aus Land, Region und Jahr ergibt eine Note von 1 für herausfordernd bis 5 für herausragend. Ausserdem wird je nach Gebiet und für jeden Jahrgang erklärt, was die Gründe für die Benotung sind und wann man den Wein am besten trinkt. Schwache Jahrgänge werden gemäss Martel immer seltener, da die Winzer heute besser auf Extremsituationen reagieren können.

Ist teurer Wein besser?

Nicht unbedingt. Denn, sagt Jan Martel: «Ein hoher Preis bedeutet nicht automatisch hohe Qualität.» Der Weinprofi empfiehlt, grundsätzlich den Wein der Situation anzupassen. «An einem fröhlichen Abend mit Freunden spielt der Wein meist nicht die Hauptrolle», sagt er und rät in diesem Fall eher zu einem unkomplizierten, einfach verständlichen Tropfen. Weine für solche Gelegenheiten gibt es bei Martel zum Beispiel bereits ab zehn Franken.

Will man sich beim Genuss hauptsächlich dem Wein widmen und in ihn hineinhorchen, empfiehlt er, etwas mehr auszugeben. «Wenn man dafür bereit ist, kann ein richtig grosser Wein für Gänsehaut und Magie sorgen», sagt Jan Martel.

Von «Abgang» bis «Weinstein»: Jan Martel erklärt zehn Weinbegriffe

Abgang: Damit bezeichnet man, was nach dem Schlucken des Weines im Gaumen sowie auf der Zunge zurückbleibt und wie lange es anhält. Ein langer Abgang gilt in einem gewissen Sinn als Qualitätsmerkmal.

Adstringierend: Meint das Gefühl des Austrocknens, Zusammenziehens im Mund, vor allem durch die Gerbstoffe (Tannine) des Weines.

Dekantieren: Heisst der Vorgang der Belüftung des Weines durch Umleeren von der Flasche in eine Karaffe. Einzelne Weine, weiss oder rot, zeigen sich in der Jugend verschlossen. Solche Weine dekantiert man, damit sie zugänglicher werden und sich ihre Aromen besser entfalten. Alte, reife Weine werden ebenfalls gerne dekantiert, um den Wein vorsichtig vom Depot zu trennen.

Depot: Das sind Hauptsächlich Farb- und Gerbstoffe, die sich über die Jahre absetzen und einen Bodensatz bilden.

Grosse Weine: Das sind Weine, die anhaltend, komplex und vielschichtig in ihrem Duft und Geschmack sind, trotzdem können sie sich sehr subtil und fast «unscheinbar» präsentieren. Andere Weine hingegen springen uns mit ihrer Intensität und Konzentration direkt an. Bei genauerem Betrachten aber erscheinen sie manchmal eindimensional und uniform. Ein grosser, hochwertiger Wein soll seine Herkunft in Bezug auf die Trauben und das Gebiet widerspiegeln. Gleichzeitig ist er eine Freude für Körper, Geist und die Seele.

Korkton: Ein Korkton im Wein äussert sich durch einen muffigen, modrigen Geruch und einen bitter-gerbigen Geschmack, der im Abgang lange anhält. Der betroffene Wein zeigt sich dumpf, die Frucht verschwindet. Ausserdem werden Tannine und Säure markanter und der Wein verliert seine Harmonie. Die Hauptursache des Korktons im Wein ist die chemische Substanz Trichloranisol (TCA). Der Fehlgeschmack befällt den Wein über den Kork und ist damit kein Weinfehler im klassischen Sinn.

Körper: Oft wird der Körper eines Weines mit seinem Alkoholgehalt gleichgesetzt. Der Alkoholwert ist dabei aber nur ein Parameter von vielen. In Wirklichkeit entspricht der Körper dem Extraktgehalt. Damit sind alle nichtflüchtigen Inhaltsstoffe gemeint, die beim Erhitzen nicht verdampfen, sondern zurückbleiben.

Oxidation: Riecht ein Wein schal und matt, zeigt er im Geschmack ausgeprägt nussige Noten und wirkt «maderisiert» – hat also seinen Höhepunkt überschritten –, dann ist der Wein oxidiert. Dies geschieht durch zu starken Sauerstoffkontakt des Weins und kann auftreten, wenn eine Flasche zu lange im Anbruch ist oder wenn der Wein zu alt ist.

Terroir: Ein Begriff aus der französischen Weinkultur. Bezeichnet die Summe der Umweltbedingungen bezüglich Geologie, Klima, Topografie und letztlich gehört auch der Mensch als wichtiger Faktor dazu.

Trocken: Ist die Bezeichnung für Weine, die fast oder ganz durchgegoren sind und höchstens einen Restzuckergehalt von vier Gramm pro Liter haben. Die meisten gängigen Weiss- und Rotweine im Handel gehören in diese Kategorie.

Weinstein: Ist ein Gemisch aus schwer löslichen Salzen der Weinsäure. Die Kristalle beeinträchtigen die Weinqualität nicht, weshalb es sich auch nicht um einen Weinfehler handelt. Vorbeugen kann man diesem «Schönheitsfehler» mit einer Kaltstabilisierung (Kühlverfahren) vor der Abfüllung. Bei Alltagsweinen ist Weinstabilisierung heute Standard.

Den Originalartikel mit weiteren Bildern und Videos finden Sie hier.