Unterwegs im Rebberg

Pionier der ersten Stunde – 9000 Tage online

Michel Bossart | 16.06.2020 | Lesezeit 4 Min. Pionier der ersten Stunde – 9000 Tage online

Die St. Galler Weinhandlung Martel hatte einen der ersten Webshops überhaupt und erlebte die Entwicklung im E-Commerce während den vergangenen 25 Jahren folglich hautnah mit. Aber: Kann ein solch emotionales Thema wie «Wein» überhaupt online transportiert werden?

9000 Tage: Also mehr als 24 Jahre sind vergangen, seit der Online-Shop der WeinhandlungMartel im Internet aufgeschaltet worden ist. Man schrieb das Jahr 1995, das «neue Netz» war den meisten noch völlig unbekannt und die ersten Bestellungen trafen von IT-Freaks aus Norwegen, Spanien und England ein. Geschäftsführer Jan Martel erinnert sich: «Das waren wahrscheinlich keine Weinliebhaber, sondern sie versuchten herauszufinden, ob der Shop wirklich funktioniert und die Produkte tatsächlich ausgeliefert werden.» Ein Jahr später, Google war noch nicht geboren, listete Yahoo als Marktleader für Internet-Recherchen erst 49 Wein-Webshops weltweit auf. Eine rührend winzige Anzahl aus heutiger Sicht. Wer nämlich heute bei Google «Wein Webshop» eintippt, erhält in 0.49 Sekunden ungefähr 758 000 Einträge.

Doch wie kam Martel überhaupt dazu, 1995 einen Webshop für Weine zu eröffnen? «Mein Schwager war damals an der HSG tätig», erzählt Martel. Dieser suchte nach einem Produkt, das er in einem Online-Shop abbilden konnte.» Obwohl damals die meisten Händler und Verkäufer dem Internet gegenüber noch skeptisch eingestellt waren, konnte Martel die damaligen Geschäftsführer – seinen Vater und seinen Onkel – davon überzeugen, bei diesem Projekt mitzumachen.

Familienunternehmen mit langer Tradition

Jan Martel übernahm die Geschäftsleitung der Weinhandlung Martel im Jahr 2005. Er repräsentiert die bereits fünfte Generation männlicher Nachfolger von Margarethe und Ferdinand Martel, die 1876 die Vertretung einer Mainzer Weingrosshandlung übernommen und damit das Familienunternehmen gegründet hatten. Die St.Galler Firma ist eine der ältesten Weinhandlungen in der Schweiz. Heute ist sie an drei Standorten in St.Gallen und Zürich präsent und beschäftigt 45 Mitarbeitende. Das Privat- und das Firmenkundengeschäft halten sich in etwa die Waage und weisen ein konstantes Wachstum auf. Martel ist sehr zufrieden: «Gerade in den vergangenen vier Jahren konnten wir in einem schrumpfenden Markt erheblich zulegen. Zumindest bis zur Coronakrise: Wie viele andere Unternehmen wurden und werden wir von den Auswirkungen der ausserordentlichen Lage gefordert.»

Werbung on- und offline

Martel ist weit davon entfernt, nur noch auf den Verkauf übers Internet zu setzen. Er erklärt: «Der Online-Bestellkanal gewinnt zwar an Wichtigkeit – gerade als wir wegen der Coronakrise unsere drei Ladengeschäfte schliessen mussten – doch Wein ist und bleibt ein emotionales Produkt. Und gerade bei emotionalen Produkten halten die Menschen gerne Papier in den Händen.» Regelmässig werden darum klassische Mailings per Post verschickt. Diese und die Newsletter sollen die Kundschaft, die sich gern beraten lässt, einerseits in einen der drei Läden bringen oder sie dazu bewegen, den Online-Bestellkanal zu nutzen.

Das Unternehmen ist auch in den Sozialen Medien aktiv, legt aber Wert darauf, dabei nicht allzu penetrant aufzutreten. «In den vergangenen zwölf Monaten veröffentlichten wir 120 Posts auf Facebook und 90 auf Instagram und erreichten teils eine Reichweite von bis zu 40 000 Usern.» Auch die Zusammenarbeit mit Influencern wurde schon ausprobiert. Martel ist aber der Meinung, dass man sich im Moment auf die eigenen Kernkompetenzen konzentrieren sollte und hat diesen Marketingkanal temporär wieder stillgelegt.

Tricks und Tipps im Online-Handel

«Das Betrugsrisiko in unserem Geschäft ist relativ klein», sagt Martel. Mehr zu schaffen machen ihm die Zahlungsausfälle. «Wenn jemand mit der Kreditkarte bezahlt, ist dieses Risiko an die Bank ausgelagert. Doch wenn jemand auf Rechnung bestellt, tragen wir das gesamte Inkassorisiko.» Dank einer strengen Kreditprüfung des Bestellers vor Auslieferung konnten hier die Ausfälle auf ein absolutes Minimum reduziert werden.

Wegen der frühen Internetpräsenz von Martel durfte die Firma die ganze E-Commerce- Entwicklung mitmachen und ist mit ihr gewachsen. Martel: «Am Anfang hatten wir natürlich kaum Bestellungen, dafür kostete unser erster Online-Shop gerade einmal 5000 Franken.» Heute muss man für Layout, Software, Sicherheit, Grafik, Lizenzen und dergleichen mit einem Vielfachen davon rechnen. «Zudem muss man sich bewusst sein, dass im Netz niemand auf einen gewartet hat. Das Angebot ist enorm.» Zuerst müsse darum das Produkt stimmen, denn nur einen schönen Shop zu haben, das bringe nichts.

«Das Produkt oder die Dienstleistung muss top und die Verkaufsstrategie sauber und klar sein; das ist die Basis.» Wenn das stimme, dann – so die Empfehlung von Martel – kann man sich an die Suchmaschinenoptimierung machen und so sein Google-Ranking verbessern. Dafür ist auch das Schalten von Online-Werbung bei Google & Co. nützlich: Denn bei 758 000 Einträgen hat kaum einer die Geduld, alle Weinhändler durchzuklicken.