Martel schenkt ein

(Zu) tief ins Glas geschaut – das Weinglas als essentieller Genussfaktor?

Christian Huber | 22.06.2021 | Lesezeit 5 Min. (Zu) tief ins Glas geschaut – das Weinglas als essentieller Genussfaktor?

Die Sonne strahlt und die Arbeit im Garten ist getan. In der Hand halte ich ein wohlverdientes Glas Weisswein, gefüllt mit kühlem, knackig frischem Riesling vom Weingut Robert Weil aus dem Rheingau: das Etikett in tiffanyblau, so blau wie der sommerliche Himmel über mir. In seltenen Fällen gönne ich mir auch ein Gartenbier, das trinke ich aus der Flasche. Wein trinke ich aus dem Weinglas und davon handelt dieser Beitrag.

Die ewige Faszination «Glas»

Der Begriff «Glas» stammt vom germanischen «Glasa» und bedeutet «das Glänzende, das Schimmernde». Im Grunde genommen, ist Glas geschmolzener Sand, Quarzsand Soda Kalk.

Glas wurde erstmals in der Bronzezeit hergestellt, das ist jetzt schon rund 3500 Jahre her. Die Ägypter gestalteten daraus Schmuck und Gefässe, die Römer haben dann – ganz in meinem Sinne – das erste Weinglas geschaffen. Damals war das Leben noch einfach, zumindest was die Art des Trinkens anbelangt: Es galt das Prinzip «one size fits all». Wo damals ein einziges Trinkgefäss zur Verfügung stand, werden heute für jeden erdenklichen Weinstil Gläser gefertigt. In der Auswahl des passenden Weinglases kann man sich lustvoll verlieren oder sich von Profis beraten lassen. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen: Letzteres kommt Sie günstiger.

Der tiefe Einblick durch das Glas

Ein Blick in meinen Küchenschrank lässt mich auf mehr als zwei Jahrzehnte passionierte Tisch- und Trinkkultur zurückblicken. Das Glas ist das Fenster zur Weinwelt, die Lupe in dem Kosmos der vielfältigen Aromen, das Gefäss von Geschichten aus längst vergangener Zeit. Vor allem, wenn man beispielsweise einen Wein vom Weingut Once&Future im Glas schwenkt – ein Wein von Reben, die um 1889 gepflanzt wurden! Bei einem solchen Wein lässt einen das Weinglas zurück in die Vergangenheit blicken und erzählt erst die Geschichten, die einem bei der Benutzung eines beliebigen Wasserglases niemals zu Ohren, oder besser zu Nase, gekommen wären.

Mit dem Wein und dem Weinglas verhält es sich wie mit einem Orchester und dem Konzertsaal. Auch ein sehr gutes Orchester klingt in einem suboptimalen Konzertsaal nicht perfekt. Ein Top-Orchester im entsprechenden Weltklasse-Saal erzeugt hingegen Gänsehaut! Vorausgesetzt man mag die Musik, aber das ist ja beim Wein nicht anders: Wenn man den Wein im Glas nicht mag, dann hilft das passende Trinkgefäss dem Genuss auch nicht auf die Sprünge.

Das richtige Weinglas kann also nicht alles, aber vieles. So ist es ebenso ein wichtiger Bestandteil gepflegter Tischkultur in der Gastronomie und im heimischen Esszimmer. Aus einem Glas zu trinken, bereitet nur dann Freude, wenn es im Ursprung des Wortes glänzt. Aus diesem Grund wurde irgendwann auch der Sti(e)l erfunden: Man sollte das Glas mit Stil zum Mund führen können, ohne den Kelch mit Fingerabdrücken zu beschmutzen und das Glas somit seinem Zauber, dem Glanz, zu berauben.

Wie viele Gläser dürfen es sein?

Man kann sich im Universum der Weingläser herrlich verlieren und für jeden Weinstil das vermutlich passende Glas erstehen. Man kann sich das Leben aber auch einfacher machen. Mit zwei bis drei unterschiedlichen Gläsern sind Sie bereits gewappnet für alle Weine, die noch kommen werden.

Ein Glas für leichte Weissweine und unkomplizierte Schaumweine sowie ein etwas grösseres Glas für die schwereren Weissweine und Rotweine. Füllen Sie den schweren Wein dann auch mal in das kleine Glas und umgekehrt. Vergleichen Sie. Wenn Sie entdecken, dass sich beim Wein etwas verändert, kaufen Sie ein drittes Glas. Experimentieren Sie weiter. Sie werden feststellen, dass derselbe Wein in unterschiedlichen Gefässen anders riecht und sich auch am Gaumen anders präsentiert.

Als Faustregel gilt: Je tiefgründiger und opulenter der Wein, desto grösser darf das Glas sein, im Zweifelsfall wählt man besser ein etwas grösseres Glas. Gerade Weissweine und auch Schaumweine werden oft in zu kleinen Gläsern serviert. Der Wein kann sich so nicht richtig entfalten.

Zurzeit stehen die Gläser der Schweizer Firma Grassl an vorderster Front – sowohl in meinem Schrank als auch in meiner persönlichen Präferenz. Grassl Glas ist ein junges Projekt. Entgegen dem Trend für jede Traubensorte ein Glas zu entwerfen, hat die Firma Grassl Gläser für bestimmte Weinstilistiken entwickelt. Die mundgeblasene, fast schon schwerelose Vigneron-Serie begeistert durch pure Eleganz und besteht aus vier unterschiedlichen Gläsern für leichtere und schwerere Weissweine sowie Rotweine.

Immer noch in Griffweite stehen bei mir die bewährten ZALTO-Gläser. Das ZALTO-Universalglas ist definitiv ein Kandidat für die einsame Insel und die richtige Wahl für die Puristen unter uns, die die Weinwelt mit nur einem einzigen Glas entdecken wollen.

Die Harmonie von Glas und Wein

Mein Herz schlägt zur Zeit für das «Grassl Cru», ein traumhaftes, federleichtes Glas für die vielen grossartigen, tänzerischen Weine dieser Welt. Eingeweiht haben wir es bei uns zu Hause mit einem vibrierend schönen Pinot Noir aus dem Burgund vom biologisch-dynamisch bewirtschafteten Weingut Trapet. Ein Musterbeispiel von harmonischem Zusammenspiel zwischen Glas und Wein. Kann man also zu tief ins Glas schauen? Ja, aber nicht um des Trinkvolumen willen, sondern um tiefer ins Universum Wein eintauchen zu können. Santé!