Bordeaux-Jahrgang 2021: Grosses Weissweinjahr und frische, klassische Rotweine
Der jüngste Bordeaux-Jahrgang zeigt viel Licht und etwas Schatten. Wegen des atlantischen, eher kühleren Wetters gelingen die weissen Bordeaux grossartig. Wir sind begeistert von der grandiosen Frische, Lebendigkeit und Tiefe dieser Weissweine. Bei den Rotweinen ist die Situation von Appellation zu Appellation und von Winzerin zu Winzer verschieden: von rustikal bis grossartig. 2021 bringt mittelschwere, elegante Rotweine mit moderatem Alkohol von nicht über 13.5 Volumenprozent. Die Qualität der Süssweine ist super, die Menge jedoch historisch tief.
Das Jahr 2021 hält die Winzerinnen und Winzer auf Trab. Nach einem viel zu milden Winter und einem extrem frühen Austrieb kommt der erste Schock. Ein Kälteeinbruch Anfang April lässt die Temperaturen während mehrerer Nächte in Folge unter den Gefrierpunkt sinken. In allen Appellationen gibt es Schäden, besonders in tieferen Lagen und in Gebieten, die etwas weiter weg von wärmenden Gewässern liegen. Am schlimmsten trifft es die Süssweinregionen Sauternes und Barsac, wo fast alles erfriert. Teilweise nützen nicht mal Windturbinen in dieser Situation, weil sie nur kalte Luft herumwirbeln. Im Saint-Emilion und Pomerol sind die guten Lagen zum Glück weniger betroffen und am linken Ufer profitieren die grossen Châteaus von der Nähe zur Gironde.
Erst schwülwarm, dann trocken
Vor allem der Juni ist aussergewöhnlich nass und gleichzeitig warm. Eine verhängnisvolle Kombination für den Rebbau. Die fast schon tropischen Verhältnisse lassen den Falschen Mehltau explodieren. In dieser Situation auf konventionellen Pflanzenschutz zu verzichten, ist schwierig. Erst ab Mitte Juli atmen die Winzer auf. Nun können sie bis Ende August das recht trockene und schöne Sommerwetter entspannt geniessen.Zeitweise wird der Boden so trocken, dass die Reben sogar zum Teil etwas unter Wasserstress leiden. Das Positive: Es dient der Qualität der Trauben.
Sturmwarnung fordert Nerven
Anfang September droht eine weitere Gefahr. Die Wettervorhersagen warnen vor einem Sturm mit viel Regen. Wer die frühreife Sorte Merlot anbaut, muss sich entscheiden: entweder schnell die Trauben knapp vor der vollen Reife einbringen – oder Verluste bei der Ernte durch den Sturm riskieren. Wer in dieser Situation pokert, gewinnt. Denn das angekündigte Unwetter erweist sich als Sturm im Wasserglas und es fällt viel weniger Niederschlag als befürchtet. Wer also die Nerven behielt, konnte nun seine Merlot-Trauben in Ruhe ausreifen lassen.
Durchschnittlicher Herbst
Der September 2021 ist eher warm. Der Oktober hingegen zeigt sich von der kühleren Seite, die roten Trauben reifen gut aus und gewinnen an aromatischer Komplexität. Nach dem ereignisreichen Jahr ist eine strenge Selektion der geernteten Trauben unabdingbar. Nur die besten Bordeaux-Winzer verlesen akribisch. Ausserdem ist für 2021 besonders wichtig, dass zurückhaltend extrahiert wird, um geschmeidige, wohlproportionierte Gerbstoffe zu erhalten.
«Das Schlüssel-Element zur Weinselektion ist die Qualität der Gerbstoffe. Davon hängt alles ab. Im schlechten Fall sind die Tannine rustikal bis grünlich. Wichtig bei der Weinbereitung war eine vorsichtige Extraktion. Ansonsten können Weine überextrahiert und bitter wirken. Bei solchen Weinen ist es fraglich, ob sich mit zunehmender Reife die Gerbstoffe in den Wein integrieren und der Wein in Harmonie gebracht werden kann.»
Philippe Gallusser, Martel-Weineinkäufer Bordeaux
Martel-Bewertung: Weissweine top, Rotweine heterogen
Die Cool Climate-Wetterbedingungen 2021 machten die Weissweine zu den Überfliegern des Jahrgangs. Durchs Band zeigen die weissen Bordeaux heute viel Frische, Lebendigkeit, Vielschichtigkeit und Tiefe – und höchste Präzision. Viele dieser grossen Weissweine besitzen unserer Einschätzung nach ohne Weiteres ein Reifepotential von 15 Jahren oder mehr.
Beim Rotwein ist das Resultat klar weniger einheitlich. Wir erfreuen uns jetzt an einem klassischen, eleganten Jahrgang, der mit einer schönen Struktur und «buvabilité» auftrumpft. Die Weine sind in der Regel eher mittelgewichtig mit klassischer, roter Frucht und feinen, balsamischen Noten. Bei den Gewinnern überrascht der lange, präzise Abgang, bei den schlechteren Beispielen stören die schon erwähnten rustikalen Gerbstoffe und im Mittelbereich fehlt etwas der Druck. Die Lagerfähigkeit der Rotweine ist momentan noch schwierig einzuschätzen. Die grossen Weine werden aber sehr wahrscheinlich ein Reifepotential von Jahrzehnten aufweisen. Gleichzeitig rechnen wir, dass sie bereits früh viel Spass bereiten können.
Heterogene Qualität
In St-Estèphe, Pauillac und St-Julien finden wir im Jahrgang 2021 Weine mit hoher Präzision, Dichte, Länge, Lebendigkeit und ohne Breite. Derweil die Appellation Margaux etwas weniger überzeugt, da hier die Qualitätsunterschiede viel grösser sind. So besitzen sie in der Nase eine eigentümliche Reife und wirken im Gaumen manchmal zu stark extrahiert. Nebst den grossartigen Weissweinen degustierten wir in Pessac-Léognan schöne, gute Merlots. St-Emilion zeigt deutliche Qualitätsunterschiede. Weine aus schlechteren Lagen zeigen grünlich-sperrige Gerbstoffe. Solche Weine finden den Weg nicht in unser Angebot.
Im Vergleich sehen wir die Weine aus Pomerol in diesem Jahr gegenüber St-Emilion-Weinen unserer Meinung nach leicht im Vorteil. Insgesamt aber schätzen wir von Martel die Qualität von Merlot 2021 weniger hoch ein als die von Cabernet-Sauvignon und Cabernet-Franc. So werten wir in der Tendenz das linke Ufer 2021 leicht besser ein als das rechte. Bei den Süssweinen – die überhaupt vinifiziert werden konnten – ist die Qualität hoch, es war ein Jahr mit sehr guter Botrytis. Sie verfügen über eine schöne Säure, eine gewisse Salzigkeit und sind weniger schwer als früher. Das gefällt uns.
Der Jahrgang 2021 unterscheidet sich klar von den Jahren 2018 – 2020 und 2022 mit fülligeren Weinen im Napa-Valley-Stil. Bei den roten Bordeaux 2021 finden wir ein eigenständiges, schlankeres Profil. Mittelgewichtig, frisch, moderat im Alkohol und unverkennbar Bordeaux. Wir vergleichen den Jahrgang am ehesten mit dem unterschätzten Jahrgang 2004. Generell lässt sich sagen: 2021 ist ein in jüngster Zeit einmaliger Jahrgang und erinnert uns sehr an die 1980er-Jahre. Und: 2021 zeigt, dass Bordeauxwinzer heute mit schwierigen Bedingungen umzugehen wissen. Gründe sind die verbesserte Technik im Rebbau und in der Kellerei – und das hohe Ausbildungsniveau und Qualitätsstreben quer durch alle Spitzenbetriebe. Bedauerlicherweise blieb der Ertrag bescheiden. Bei den Süssweinen waren mengenmässig enorme Verluste zu beklagen. Einige Châteaux – zum Beispiel Doisy-Védrines – konnten gar keine Weine abfüllen. Die wenigen Bordeaux-Süsseweine aus dem Jahre 2021, die jetzt auf den Markt kommen, sind dafür traumhaft gut.