«Meine Anfänge in Burgund waren abenteuerlich»

Das Weinbaugebiet Burgund hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert. Der internationale Weinmarkt und die Klimaerwärmung haben viel Bewegung in die klassische Weinregion gebracht. Unser langjähriger Einkaufsleiter Martin Schwarz hat diese Entwicklung hautnah miterlebt. Im Interview erklärt er, wo er die grossen Veränderungen im Burgund in den letzten 40 Jahren sieht. Was gut ist und was ihm Sorgen bereitet.
Martin Schwarz, die Domaine de la Romanée-Conti ist das grosse Aushängeschild des Burgunds. Die Weine werden heute weltweit zu Höchstpreisen gehandelt. Wie war das früher?
Bei Martel haben wir 1990 mit Romanée-Conti angefangen, das war damals schon eine Ehre, denn es gab nur einen Importeur pro Land. Die Weine der Domaine waren schon damals relativ teuer, aber bei weitem nicht so teuer wie heute. Ich erinnere mich an Preise um die 60 Franken pro Flasche. Am Anfang hatten wir tatsächlich Bedenken: Was machen wir mit den Romanée-Conti-Flaschen, wenn der Jahrgang schlecht ist und niemand sie kauft? Wir organisierten in unserem Lager eine Degustation mit sieben Weinen der Domaine. Die Gäste konnten sich bedienen. Kostenlos natürlich. Das war ganz unprätentiös. Damals konnte man zum Beispiel im St. Galler Restaurant «Wienerberg» eine Flasche Echézeaux der Domaine Romanée-Conti für unter 100 Franken trinken. Das ist heute absolut unvorstellbar. Ich sehe die Preisentwicklung der Luxusweine – und damit meine ich gewisse Weine – im Burgund kritisch. Ich befürchte, dass solche Preisexzesse, die vom Sekundärmarkt beeinflusst werden, dem Weinbaugebiet insgesamt schaden.
Du bist Ende der 70er-Jahre zum ersten Mal ins Burgund gekommen. Wie war das?
Abenteuerlich. Ich hatte einen besonderen Auftrag. Mein damaliger Chef Wolfram Martel hatte im Burgund eine Autopanne. Er war mit Gästen unterwegs und konnte mit dem Auto eines Winzers in die Schweiz fahren. Ich musste dann den Simca des Winzers nach Frankreich zurückbringen und den Ford Granada von Wolfram Martel im Burgund abholen. Mit 18 oder 19 Jahren hatte ich noch keine Ahnung vom Burgund und seinen Weinen. Irgendwann hat es mich dort gepackt. Mit dem Weinatlas auf den Knien durchstreifte ich dieses wunderbare Weinbaugebiet und lernte es so kennen. Im Keller unseres Négociants Jean-Pierre Escano habe ich meine ersten Proben direkt vom Fass gemacht, das hat mich fasziniert. Auf dieser Reise wurde mir auch bewusst, wie wichtig die Beziehung der Schweiz zum Burgund ist. Historisch und auch den Wein betreffend. Wir sind sehr eng mit Burgund verbunden. Das fand und finde ich sehr spannend. Heute ist Martel praktisch im Burgund zuhause.
Wie hast du bei Martel angefangen?
Ich habe 1976 als kaufmännischer Lehrling bei Martel angefangen und kam so schon früh mit Wein in Berührung. Damals war der Handel noch anders und das Burgund einfacher. Fast der gesamte Weinhandel im Burgund lief über Négociants. Ein wichtiger Négociant, Pierre Ponnelle, deckte alle Gebiete ab, von Châteauneuf-du-Pape im Rhônetal, über das Beaujolais, das klassische Burgund, bis zum Chablis-Gebiet im Norden. Damals gab es noch sehr wenige Weingüter, die ihre Weine selbst kelterten, abfüllten und mit ihrem Etikett/Namen versahen. Die Burgunder der Domaine G. Roumier, die wir heute noch führen, wurden erst Anfang der 80er-Jahre selbst abgefüllt. 1984 war ich zum ersten Mal bei Georges Roumier. In den folgenden Jahren habe ich hautnah miterlebt, wie immer mehr Selbstkelterer hinzukamen. Damit wurde die Situation natürlich vielfältiger und gleichzeitig unübersichtlicher.

Heute sind in der Schweiz unvorstellbar viele Weine aus aller Welt erhältlich, auch via Internet. Wie sah das Angebot Mitte der 1980er-Jahre aus?
Damals gab es auf der Welt nur ein Land, das für seinen Wein berühmt war: Frankreich mit den beiden wichtigen Regionen Burgund und Bordeaux. Italien oder Spanien waren vor 40 Jahren in der Schweiz kaum ein Thema. Vor 50 oder 100 Jahren galt Wein vor allem als Lebensmittel, als selbstverständlicher Bestandteil einer Mahlzeit. Es wurde auch viel mehr Wein getrunken. Viele Winzer – nicht alle – haben damals einfach versucht, vor allem viel Wein zu machen – nicht möglichst guten. Die Menge zählte. Der Qualität hat das natürlich nicht geholfen, im Gegenteil. Auch das Burgund blieb damals von dieser Entwicklung nicht verschont.
Wann und wie hat sich das geändert?
Viele Verbesserungen waren mit einem Generationswechsel verbunden. Ein weltweites Phänomen. Die damalig neue Generation hatte eine seriöse Ausbildung im Weinbau und in der Weinbereitung. Das ganze Weinbusiness wurde professionalisiert. Technisch fehlerhafte Weine gibt es inzwischen kaum mehr. Man kann wirklich sagen: Die Qualität der Weine ist heute durchs Band viel höher als damals, auch die Jahrgänge werden immer besser. Ich erinnere mich: 1980, 1981 und 1982 waren schwierige Jahrgänge. Hätte man zu dieser Zeit über das heutige Können und Wissen verfügt, wären die Jahrgänge zu retten gewesen.
Du hast bei Martel zuerst in der Verwaltung gearbeitet, dann in der Gastronomieberatung, bevor du in den Einkauf gekommen bist. Was war anders?
Im Verkauf macht es Spass, den Kundinnen und Kunden das Wissen und die Begeisterung zu vermitteln, die Unterschiede zwischen den Weinen aufzuzeigen. Im Einkauf kann man aus dem Kontakt mit den Weingütern sowie deren Winzerinnen und Winzern Freude und Inspiration ziehen. Unser Vorteil als Qualitätsweinhändler ist es, dass wir mit klugen Menschen zu tun haben. Für Qualitätswein braucht man intelligente Menschen – mit denen man sich auch über andere Dinge als Wein unterhalten kann.
Wie gross war das Interesse an Wein vor 30, 40 Jahren?
Die breite Öffentlichkeit wusste wenig über Wein. Es gab kaum Bücher über Weinbaugebiete, ganz zu schweigen von Radio- und Fernsehsendungen oder Zeitungsartikeln. Heute ist Wein ein Teil des Lebensstils und fast jedes Medium berichtet regelmässig über Wein. Das war damals ganz anders.
Heute ist Wein ein grosses Thema und das Burgund steht im Fokus des Interesses von Weinfreaks aus aller Welt. Wie kam das?
Ab dem sogenannten Jahrhundert-Jahrgang 2009 ging im Burgund die Post so richtig ab. Das hatte zum einen mit den kleineren Mengen und den besseren Qualitäten zu tun. Journalisten schrieben über die positive Entwicklung. In der ganzen Welt stieg das Bewusstsein, dass die mitunter besten Weine aus dem Burgund kommen. Zum anderen kamen neue Märkte in Asien und Osteuropa dazu, vor allem Russland. Plötzlich war viel Geld im Spiel. Leute und Unternehmen mit dem nötigen «Kleingeld» fingen an, Burgunder zu kaufen. Wegen der hohen Nachfrage und der fast gleichbleibenden Menge wurden die Weine teurer. Die Preise schossen in die Höhe.
Wie wirkten sich die besseren Verkäufe auf die Weinregion aus?
Natürlich positiv, aber nicht nur. Der kommerzielle Erfolg Burgunds ist sicher zum Teil auch ungesund. Unser Winzer Guillaume Tardy sagte mir zum Beispiel mal halb im Spass, dass er sich seine eigenen Weine nicht mehr leisten könne, so teuer seien sie geworden. Für die Winzerfamilien ist der finanzielle Aufschwung Segen und Fluch zugleich. Erbteilungen werden zum Problem, es ist kaum mehr möglich, dass ein Familienteil den anderen ausbezahlt. Ich befürchte, dass sich die Region durch die vielen ausländischen Investitionen auch etwas verkauft. Für die privaten Winzer ist es schwierig, dem Druck des vielen Geldes standzuhalten. Das finde ich schade.
Aus dem Burgund kommen heute die mitunter besten Weine der Welt. Weshalb ist das so?
Die Antwort ist klar. Es ist das gesegnete burgundische Terroir. Die grossen Weine sind unter anderem den speziellen geologischen Formationen zu verdanken. Solch einzigartige Lagen gibt es sonst weltweit nirgends. Für mich ist das Burgund wirklich der Olymp der Weine.
Was bedeutet der Klimawandel für diese Lagen?
Reifere Jahrgänge, früherer Wachstumsstart der Reben, verbunden mit grosser Gefahr von Kälteeinbrüchen mit Frost im Frühling, Gewitter mit Hagel. Insgesamt profitiert das Burgund von den Klimaveränderungen der letzten Jahre. Die Reben passen sich an. Das zeigten die vergangenen heissen und trockenen Jahre. 2021 war ein kühlerer und feuchterer Jahrgang und damit schon fast die Ausnahme. Auch in heisseren Jahren bestätigt sich: Erstklassige Lagen bleiben top. Das ist beruhigend.
Was wünschst du dir für Burgund?
Dass das kulturhistorische Erbe erhalten bleibt. Dass das viele Geld keine verheerenden Auswirkungen auf die Jugend hat. Die Leute sind an Wohlstand gewöhnt. Man sieht es den gepflegten Häusern an.
Wann fährst du das nächste Mal nach Burgund?
Im November. Zum ersten Mal privat.
Und worauf freust du dich besonders?
Nach Hause zu kommen. Freunde zu treffen. Und ein paar Weine zu probieren. Es wird nicht so viel anders sein als in meiner Zeit als Einkäufer. Ich muss mich bei meinem Besuch einfach nicht mehr um das Geschäft kümmern und kann entspannt die Weine probieren, Weingenuss pur.