Schweizer Weinhandel 2024
Ausblick & Trends
Der Schweizer Weinhandel steht vor einem schwierigen Jahr und stellt sich auf rückläufige Zahlen ein. Doch es gibt auch gute Nachrichten. Der Trend zu mehr und besserem Weisswein hält an. Mit ursprünglichen Methoden hergestellte Orangeweine und alkoholfreie Weine finden den Weg aus der Nische. Jan Martel, Geschäftsführer der schweizweit tätigen Weinhandlung Martel, über die Risiken und Chancen des Weinhandels 2024.
Jan Martel, wo spielt die Musik im Schweizer Weinhandel im Jahr 2024?
Generell werden kleinere Mengen bei höherer Qualität konsumiert. Das spielt unserer Weinhandlung Martel in die Hände. Weisswein ist gefragter denn je und wird zunehmend als hochwertige Weinkategorie wahrgenommen. Ein Abend ohne Rotwein, dafür mit einer Reihenfolge erstklassiger Weissweine – früher in der Schweiz kaum denkbar. Orangeweine können sich als eigene Kategorie etablieren und gewinnen ein breiteres Publikum. Gleiches gilt für die alkoholfreien Weine. Vor allem die Spitzengastronomie interessiert sich dafür.
Wie sieht es bei den Schaumweinen aus, die lange Zeit boomten?
Die Nachfrage nach Sekt, Prosecco, Franciacorta, Crémant, Cava und Champagner ist nach wie vor hoch. Seit der Pandemie beobachte ich jedoch einen leichten Rückgang. Wenn sich die Wirtschaft abkühlt, ist es schwieriger, teure Schaumweine zu verkaufen. Aus Frankreich ist zu hören, dass der Champagnerkonsum offenbar stark zurückgeht.
Wie entwickeln sich die Rotweinverkäufe in der Schweiz?
Die Weinliebhaber achten mehr auf den Preis, akzeptieren keine aus Marketinggründen überteuerten Weine mehr und reagieren stärker auf Aktionen. Ausserdem ist heute mehr Abwechslung gefragt. Das ist wie in der Gastronomie: Schni-Po allein reicht nicht mehr, neue Ideen und Angebote sind gefragt. Was mir gefällt: Die Kundinnen und Kunden sind offen und nicht mehr nur auf ein oder zwei Weinbaugebiete fixiert. Hier können wir als Weinhandlung mit kompetenter Beratung unsere Stärke ausspielen. Die Kundinnen und Kunden interessieren sich auch für Neues – zum Beispiel aus Slowenien – und entdecken auch klassische Weinbaugebiete neu, zum Beispiel Bordeaux. Spanische Weine stehen nach wie vor hoch im Kurs. Weine aus Übersee haben es heute schwer.
Wo liegt das Problem? Martel ist ja Pionier beim Import von Weinen aus Kalifornien und führt Weine aus Argentinien sowie Australien im Sortiment.
Ich bin offen: Der Absatz von Übersee-Weinen ist generell rückläufig, aber nicht mehr so stark wie noch vor einigen Jahren. Übersee-Privatkunden sind treu, viele Gastronomiebetriebe streichen diese Weine jedoch von der Karte. Der wichtigste Grund dafür ist die Wahrnehmung des Transportweges. Er gilt als Umweltsünde. Dabei ist der ökologische Fussabdruck von Weinen aus Übersee insgesamt nicht unbedingt schlechter. Hier können wir aufklären. Weine aus anderen Kontinenten sind uns wichtig. Ohne diese Weine wäre die Welt ärmer. Überseeweine werden heute leider gecancelt. Diese wertvollen Weinkulturen einfach abzuschreiben, finden wir schade und ein Stück weit ignorant. Wir sind für Weltoffenheit, auch beim Wein.
Wie zentral ist das Thema Nachhaltigkeit im Weinhandel für Ihr Unternehmen?
Es ist mittlerweile das grosse Thema, welches uns auf verschiedenen Ebenen beschäftigt. Beim Einkauf suchen wir nach nachhaltig produzierten Weinen und führen immer mehr Bio- und biodynamische Produkte. Ausserdem wollen wir leichtere Weinflaschen, was Verbesserungen beim Transport bringt. Die Verpackung macht nämlich den wichtigsten Teil des ökologischen Fussabdrucks aus. Betriebsintern arbeiten wir mit einer Nachhaltigkeitsinitiative daran, die Transporte zu optimieren, den Energieverbrauch allgemein zu senken und wir produzieren seit Jahren eigenen Strom. Wir leisten unseren Beitrag, ohne damit zu werben. Für uns ist es eine Selbstverständlichkeit.
In der Schweiz gibt es rund 5’000 Weinhandlungen. Eine Rekordzahl. Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer?
Die Konkurrenz ist so stark wie noch nie – und das bei generell rückläufigen Alkoholverkäufen. Kleine Weinhandlungen ohne Profil und mit einer überalterten Kundschaft dürften ein Problem haben. Weinfachhändler mit klarem Fokus, starken Marken und einem eigenständigen Sortiment mit handwerklich hergestellten Weinen gehören zu den Gewinnern. Grossverteiler dominieren den Markt im günstigen Preissegment. Die Zeit spielt gegen sie, der Konsum verschiebt sich hin zu weniger, aber besserem Wein. Wohl auch deshalb kaufen Grossverteiler vermehrt etablierte Weinhandlungen auf. Für den E-Commerce war 2023 nach dem Höhenflug der Corona-Zeit ein Jahr der Konsolidierung. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass der Online-Verkauf in den nächsten Jahren weiter zulegen wird.
Martel vertreibt in der Schweiz exklusiv Burgunder-Raritäten wie Weine der Domaine de la Romanée-Conti oder gesuchte Bordeaux von Château Lafleur. Wie läuft dieses Hochpreisgeschäft in Zeiten weltweiter Krisen?
Sogenannte Ultra-Premium-Weine sind global gefragter denn je. Die Menge bleibt extrem begrenzt. Unsere Zuteilungen für den Schweizer Markt werden zum Spiessrutenlauf. Gleichzeitig verlieren B-Raritäten – das Segment darunter – an Attraktivität. Dies, weil die Preise derzeit zu hoch sind und dieses Segment auch Moden und Trends unterliegt. Von B-Raritäten entfernen sich die Restaurants weitgehend, weil es viel Geld kostet, Weine dieser Preisklasse zu lagern.
Vor welchen Herausforderungen steht der Weinhandel in diesem Jahr?
Zum Problem wird die Teuerung. Die höhere Mehrwertsteuer ist nicht hilfreich. Ich schaue mit Sorge in die Nachbarländer. Meine Weinhandelskolleginnen und -kollegen in mehreren europäischen Ländern klagen über Umsatzrückgänge. Auch das Thema Gesundheit und damit verbunden mögliche Deklarationspflichten sowie Warnhinweise auf Weinflaschen macht uns zu schaffen. Gleichzeitig sehe ich positive Entwicklungen hin zu immer besserer Weinqualität, zu mehr Klasse statt Masse.
Was überwiegt nun im Jahr 2024, die Freude oder die Sorge?
Ganz klar das Positive. Der Jahrgang 2022, der jetzt richtig auf den Markt kommt, ist qualitativ und quantitativ ein hervorragendes Jahr. Wein wird immer mehr als Kulturgut verstanden, als Wellness für die Seele. Das hohe Interesse an Wein ist ungebrochen, vor allem bei jungen Menschen. Das zeigen auch unsere stets ausgebuchten Weinkurse in Zürich und St. Gallen oder unsere Degustationen. Als Familienunternehmen, das in Generationen denkt, blicke ich optimistisch und mit Freude in die Zukunft.
Jan Martel kompakt über die Trends 2024
Entwicklung: Nachhaltigkeit, Bio, Vegan
Regionalität: Region heisst nicht nur aus dem eigenen Dorf, sondern neu aus Europa
Schweiz: Premium-Weinland in Produktion und Konsum
Alkohol: Tieferer Alkoholgehalt beim Wein wird heiss diskutiert
Trendland: Slowenien, auch bei Naturwein
Naturwein: Kann schmecken, muss aber nicht