Sieht man dem Weingut an, wie der Wein schmeckt?
Salut Bourgogne, wir kommen! Das Martel-Team unternimmt oft Reisen, um die Weingebiete besser kennenzulernen und im engen Kontakt zu bleiben mit Winzerinnen und Winzern. So lässt sich Weinkultur am besten vermitteln. Diesen Winter waren sechs Martel-Mitarbeitende im Burgund unterwegs und gingen unter anderem der Frage nach, wie stark die Weine durch den Charakter der Winzerinnen und Winzer und das Weingut geprägt werden. Die Weinberaterin Marion Le Cras stammt ursprünglich aus der Bretagne. Sie erzählt von der winterlichen Burgundreise des Martel-Teams.
Grosse Weine aus dem Burgund sind keine Bluffer und Blender, im Gegenteil. Burgunderweine zeigen sich oft erst ziemlich zurückhaltend. Vielfach haben sie das mit den Winzerinnen und Winzern in der Bourgogne gemeinsam. Rémi Jobard zum Beispiel ist ein Schweiger. Der Winzer empfängt uns höflich, aber mit einer gewissen Distanz. Lieber drückt sich Rémi mit seinen Weinen aus.
Wir beginnen unseren Besuch im Reifekeller, wo wir zu unserer Überraschung fast ausschließlich Fässer des österreichischen Küfers Stockinger finden. Im Gegensatz zu vielen anderen Winzern ist für Rémi nicht wichtig, aus welchem Land das Holz für die Fässer kommt. Ihm geht es vor allem um die Qualität des Holzstücks, um dessen «gute Gesundheit», seine Feinheit, seine Textur, seine Körnung, oder wie er auf Französisch sagt: «grain». Der Küfer Stockinger verwandelt das Holz in ein Fass und schafft so für Rémi Jobard ein perfektes Instrument für die Reifung seiner Weine. Alle seine Weiss- und Rotweine verbringen 12 Monate in Fässern und anschliessend 6 Monate in Edelstahltanks, bevor sie in Flaschen abgefüllt werden. Bei unserem Besuch konnten wir die 2021er-Weine probieren. Obwohl sich die Weine noch in der Schönungsphase befanden, spürten wir die Handschrift Rémi Jobards: Klarheit, Frische, die Weine lassen die ganze Frucht und das Terroir zum Ausdruck kommen.
Eine Kathedrale für himmlische Weine
Der Besuch bei der Weinikone Bernstein gehört zu den Höhepunkten unserer Reise. Hier wird uns klar, dass auch das Äussere eines Weinguts die Weine prägen kann. Uns jedenfalls scheint der Zusammenhang zwischen der Ästhetik des Herrenhauses und Olivier Bernsteins Weinen offensichtlich. Das komplett neu und aufwändig renovierte Herrenhaus im Herzen der Stadt Beaune ähnelt einer Kathedrale, die dazu gemacht ist, die Zeit zu überdauern. So wie Bernstein-Weine, die fast schon für die Ewigkeit gemacht sind.
Empfangen werden wir von Richard Seguin, dem Kellermeister Olivier Bernsteins. Die Weinprobe findet im Keller statt, wo Weine aus acht Weinlagen reifen. Olivier Bernsteins Sortiment verfügt über einen Premier Cru (Gevrey Chambertin Les Champeaux) und sieben Grands Crus. Olivier und Richard bearbeiten die Weinberge nicht selbst, sie stehen jedoch im ständigen Kontakt mit den Winzern, die ihnen die Trauben liefern. Diese stammen von Reben, die meist zwischen 40 und 80 Jahre alt sind. Die Reben werden sorgfältig und naturnah bearbeitet, ganz ohne chemische Hilfsmittel. Das Datum der Weinlese wird von Olivier und Richard bestimmt, und ihr eigenes Team erntet die Trauben.
Ein weiterer wichtiger Akteur auf diesem Weingut ist der Küfer Stéphane Chassin. Er ist bei allen Schritten anwesend. Stéphane probiert den Most vor und nach der Gärung. Ausgehend von seinen Eindrücken des Jahrgangs entscheidet er, wie stark er das Weinfass toastet. Auf dem Weingut kommen ausschliesslich neue Fässer zum Einsatz. Olivier Bernstein wählt das Holz aus den Wäldern von Fontainebleau bei Paris und im belgischen Jupille höchstpersönlich aus. Je nach Jahrgang wird ein Hauptanteil der Ernte mit den Stielen ganztraubig vergärt.
Einzigartiges Weingut, charismatischer Winzer
Beim Besuch einer weiteren Kellerei in Beaune wird uns vor Augen geführt, dass das Temperament eines Winzers Einfluss auf den Wein haben kann. Die Weine von Mounir Saouma vom Weingut Lucien Le Moine sind Energiebündel wie der Winzer selbst. Einzigartig und schwer zu finden. Eine unscheinbare schwarze Türe im Stadtzentrum von Beaune verschafft Eingang zu seinem Reich.
Mounir ist sehr charismatisch und seine Power scheint sich auch auf die Weine zu übertragen. Die Domaine verarbeitet zugekaufte Trauben und keltert diese mit viel Sauerstoff. «So stärken wir den Wein», erklär Mounir. Er lässt die Weine zwei Jahre lang auf der Hefe liegen, um sich zu entwickeln. Dabei spielt auch Musik eine wichtige Rolle. Durch diese ungewöhnlich lange Reifezeit erlangen die Weine einen natürlichen Schutz.
Charakterwinzer machen Weine mit Charakter
Nun fahren wir ins ländliche Burgund auf das Weingut von Jean-Louis Trapet in Gevrey-Chambertin. Jean-Louis ist ein humorvoller, gesprächiger und anregender Mann. Diesen Esprit finden wir auch in seinen Weinen. Wir beginnen die Weinprobe mit seinem A Minima, einem trendigen Naturwein ohne Zusatz von Schwefel. Die Assemblage von Pinot Noir und Gamay zeigt viel Frische und ist charmant wie der Winzer selbst.
Anschließend geht es weiter in den Keller. Jean-Louis Trapet begleitet die Reben während der Vegetationsphase eng, er bearbeitet den Boden präzise und setzt auf eine delikate, nie forcierte Weinbereitung. Das Resultat: Auch in schwierigen Hitzejahrgängen wie 2003 bleiben die Weine überraschend frisch. Wir sind überwältigt von den zarten Tanninen des Chambertin 2003. Der Bio-Pionier Jean-Louis Trapet arbeitet inzwischen mit seinen Söhnen zusammen. Louis und Pierre bringen ihre Ideen ein, zum Beispiel mit dem sogenannten High Canopy Management, was clevere Laubarbeit bedeutet. So können die Winzer in Zeiten der Klimaerwärmung ihre Trauben vor zu viel Sonne schützen.
Auch auf der Domaine Lejeune machen wir die Erfahrung, dass nachhaltig hergestellte Weine wunderbare Aromen entwickeln und mit Frische und spannenden Tanninen aufwarten. Das Weingut ist in Umstellung auf biologische Landwirtschaft und setzt auf Ganztraubenpressung mit Stielen im offenen Holzfass.
Familien prägen den Wein
Das Weingut von Justin Girardin wiederum schaut aus wie ein einfacher Bauernhof. Seit 13 Generationen leben und arbeiten die Girardins hier. Lange wurde hier gemischte Landwirtschaft betrieben. Die letzten drei Genererationen der Familie setzten voll auf Wein. Justin ist erst knapp über 30 Jahre alt und führt den Betrieb, die Eltern arbeiten noch mit. Rund um Santenay und in Chassagne produzieren die Girardins Rotwein (70%) und Weisswein (30%). Biologisch, allerdings nicht zertifiziert. Die Atmosphäre auf dem Familienbetrieb wirkt eingespielt und harmonisch. Kein Wunder, zeigen sich die Weine in diesem Umfeld durchs Band zugänglich, sauber und klar.
Ein kleines Weigut mit typischen Weinen
Auch auf der nächsten Domaine, die wir besuchen, ist Wein Familiensache. Das kleine Weingut Truchetet in Premeaux-Prissey wird von Morgan Truchetet in 6. Generation geführt. Unterstützt wird er dabei von seiner Schwester Julie und seiner Frau Pauline. Noch befindet sich der Keller in einer Art Garage. Schon bald ist der Umzug in einen grossen Keller geplant. Das Weingut verarbeitet Trauben von 5 ha eigenen Reben, von 2 ha kauft es Trauben zu. Pauline bringt seitens ihrer Familie noch Trauben von 6.5 ha ein, die sie separat keltert. Der Biobetrieb legt viel Wert auf die Pflege des Bodens.
Alle drei Jahre werden neue Gräser und Pflanzen zwischen den Rebzeilen gesät, die den Boden belüften, jedoch nicht zu tiefe Wurzeln schlagen sollen. Wir fühlen uns wohl auf dem Weingut und die Weine gefallen uns sehr. Zum Beispiel der knackige, straffe und sehr typische Aligoté. Auch der Hautes Côte de Nuits blanc ist geradlinig, saftig und hat einen wunderschönen, salzigen Abgang. Die Rotweine überzeugen ebenso, vor allem der Bourgogne Rouge «Les Chaillots Vieilles Vignes» von im Schnitt 60 Jahre alten Reben.
Purheit und Perfektion
Szenenwechsel. Die Kellerei Laurent Ponsot ist ein topmodernes Gebäude am Rande einer Gewerbezone – mit Blick auf die Reben. In dieser blitzsauberen Hightech-Kellerei wähnen wir uns im Keller eines Weinguts der Zukunft. Die Weine sind allerdings extrem klassisch und zeitlos. Ponsot verwendet nie Neuholz, das jüngste Fass im Keller ist zehn Jahre alt. Alles im Keller ist elektrisch und hochmodern. Man sieht förmlich, wie präzise hier gearbeitet wird. Diese Purheit springt auf den Wein über. Alle Ponsot-Weine sind sehr elegant und durch das fehlende Neuholz extrem klar. Laurent Ponsot sagt uns: «Wir machen keinen technischen Wein, aber die Technologie hilft uns dabei, das Beste aus der Natur zu gewinnen.» Besonders auch: Laurent hat keine Angst vor zu hohen Alkoholwerten. Seine Weine bleiben auch bei 14.5 % Vol. Alkohol sehr ausgewogen. So sieht Laurent Ponsot auch dem Klimawandel gelassen entgegen. Er ist sich sicher, dass sich die Natur und die Reben anpassen werden.
Weine mit ganz viel Stil
Seit 1717 befindet sich die Domaine Leflaive gleich am Dorfplatz von Puligny-Montrachet. Das Weingut ist sorgfältig renoviert. Sehr geschmackvoll, ohne Angeberei. Faszinierend, dass sich auch die Weine so zeigen. Gradlinig, elegant, filigran. Wir sind beeindruckt. Leflaive gehört zu den ganz grossen Weinnamen und ist weltberühmt für seine Chardonnays. Das Weingut arbeitet schon lange biodynamisch und keltert Mini-Lagen separat. Der Gutsleiter Brice de la Morandière führt uns persönlich durch die Domaine. Wir verkosten vor allem den Jahrgang 2020 und sind hin und weg von diesen stilvollen Weinen. Besonders auch von den Chardonnays, die das Weingut aus eigenen Reben im Mâconnnais keltert. Der «Mâcon-Igé» zum Beispiel ist eine echte Entdeckung und eignet sich als perfekter Einstieg in die Leflaive-Welt.
Mit diesem letzten Höhepunkt geht unsere Burgundreise zu Ende. Wir haben viel gesehen, probiert, gelernt und wir staunten, wie stark sich hier die Winzerinnen und Winzer und ihre Weingüter unterscheiden. Und ich glaube am Schluss der Reise nun tatsächlich ein wenig daran, dass sich die Winzer-Persönlichkeit und das Ambiente einer Domaine auf den Wein auswirken können. Voilà!